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Fernsehen im zweiten Weltkrieg
Während des zweiten Weltkriegs bewies sich die neue Technik des Fernsehens in der praktischen Anwendung. Das Fernsehen wurde für militärische Zwecke instrumentalisiert und sein Nutzen für verschiedene militärische Praktiken untersucht. Schon 1930 wurde die Nützlichkeit des Fernsehens als Technologie für das Kundschaften und die bessere Orientierung während der Schlacht betont; kurz darauf wurde Fernsehen auch als Waffe eingesetzt und in ferngesteuerte Drohnen eingebaut.
Recherche und Text: Samuel Müller und Gernot Vlcek
Fernsehen im militärischen Kontext machte Orte sichtbar, die unzugänglich oder zu gefährlich für den Menschen waren, wenn zum Beispiel Raketenstarts oder Atombombentests aus nächster Nähe gefilmt und an einen geschützten Ort übertragen wurden. Inspiriert durch Kamikazepiloten wurden auch Lenkraketen mit Fernsehröhren ausgestattet. So konnten Piloten aus sicherem Abstand die Sicht der Rakete einnehmen und diese in ihr Ziel fliegen, wo sie explodierte (Chandler 2017 S. 90-91). In beiden Fällen wurde das Medium wurde als „Auge ohne Körper“ verstanden, das Dinge aus sicherer Entfernung sehen liess, und so eine Erweiterung des Sehens darstellte.
Während Anwendungen mit ferngesteuerten Bomben im zweiten Weltkrieg experimental blieben und nicht zum Einsatz kamen, waren televisuelle Überwachungs- und Beobachtungsanlagen ein grösserer Erfolg und schon während des Kriegs von praktischem Nutzen. Dies wollen wir anhand des Beispiels der Überwachung der Raketenstartanlage in dem nazideutschen Militärforschungszentrum Peenemünde und anderer Anwendungen der Television im zweiten Weltkrieg diskutieren. In diesen Überwachungsanlagen sehen wir die ersten CCTV-Überwachungsanlagen, die nach einer Phase des Experimentierens zum selbstverständlichen und unbeachteten Überträger der technischen Bilder wurden.
Die Heeresversuchsanstalt Peenemünde
Die Anfänge des CCTV, wie wir es heute kennen, sind in geheimen Militärprojekten des zweiten Weltkriegs zu suchen. Seit Ende der 1920er Jahre experimentierten mehrere Länder, darunter Grossbritannien, die USA, Frankreich und Deutschland, mit Fernsehen und lancierten ab Mitte der 1930er Jahre erste reguläre Fernsehprogramme für den Heimempfang. Parallel zu diesem Gebrauch des Fernsehens als Rundfunkmedium, wurden auch erste Pläne für geschlossene Systeme der televisuellen Übertragung und Überwachung entwickelt und während des Kriegs realisiert. Die nationalsozialistischen Peenemünder Fernsehtests auf der deutsch-polnischen Ostseeinsel Usedom sind diesbezüglich ein wichtiges Beispiel. In der Heerversuchsanstalt Peenemünde wurden verschiedene neue Flugwaffen gebaut, unter anderem die sogenannten Vergeltungswaffe 1, die von der Nazi-Propaganda als "Wunderwaffen" angepriesen wurde. Ebenfalls zentrales Projekt in Peenemünde war die Entwicklung der Großrakete Aggregat 4 - die Vergeltungswaffe 2 -, die noch heute den Anfang der Raumfahrt markiert. Diese Rakete wurde zum ersten Mal im Oktober 1942 gestartet; im Zuge der Tests dieser Raketen wurde ab 1941 CCTV eingesetzt (Bruch 1974).
Nicht nur in der Fernsehtechnik, wie im Folgenden dargestellt, wurden Pionierleistungen erbracht, sondern auch der verantwortliche Versuchsleiter der Anlage, Wernher von Braun, sollte später mit der Saturn V Rakete im Rahmen der Apollo 11 Mission erstmals Menschen zum Mond bringen. (vgl. Abramson 2003, S. 5) Die Entwicklung der neuartigen Waffe, von der sich die Nationalsozialisten einen grossen Kriegsnutzen versprachen, lief ohne Rücksicht auf Verluste. Dies ist auch an der grossen Zahl von Zwangsarbeitern, welche in der Heeresanstalt ausgebeutet wurden, zu erkennen. 232 KZ-Häftlinge, 197 ausländische Zwangsarbeiter und elf sowjetische Kriegsgefangene kamen während der Produktion der Raketen und bei alliierten Bombenangriffen ums Leben.
Von Brauns Rolle in der Raketenforschung muss auch deshalb kritisch betrachtet werden. Seine nationalisozialistische Vergangenheit - von Braun war 1940 der SS beigetreten - und die Waffenexperimente auf Peenemünde, die zahlreiche Todesopfer forderten, hängen eng mit seinen späteren Erfolgen zusammen, die auf jenen ersten Tests aufbauten.
Die Fernsehanlage
Um die Raketentests aus nächster Nähe beobachten zu können, wurde im Prüfstand VII, von welchem die V2 starteten, eine Fernsehanlage installiert. Walter Bruch, ein in den 1930er Jahren führender Fernsehingenieur bei Telefunken und für das Peenemünder Kamera- und Monitorsystem verantwortlich, erläuterte das System in einem rückblickenden – und von Nostalgie und Eigenlob durchzogenen – Vortrag, welcher 1974 in der Fachzeitschrift Funkschau publiziert wurde. Aus fernsehhistorischer Perspektive ist insbesondere interessant, dass für Bruch in Peenemünde der Ausgangspunkt für die Entwicklung des sogenannten „Industriefernsehen“ nach dem Krieg lag: Mitte der 1970er Jahre schien es für einen beteiligen Ingenieur offensichtlich, dass spätere Anwendungen des "closed circuit television" direkt auf medientechnische Innovationen während des zweiten Weltkriegs zurück zu führen waren.
Ziel der Anlage war es, dass Bilder an das Messhaus und die Schiessleitung übertragen wurden, und zwar aus Positionen, die für Menschen zu gefährlich waren: Direkt von der Abschussrampe der Rakete, noch vor dem Schutzwall, sowie nahe über dem Schutzwall aus einer erhöhten Position. Der Anfang der Versuche, Fernsehen bei der Beobachtung der Raketenstarts einzusetzen, war von einigen technischen Herausforderungen geprägt. Schwer und gross waren Kamera, Fernseher und Netzteile mit Entzerrverstärker, die Kameras noch sehr lichtschwach und aus Gründen der Geheimhaltung waren kilometerlange Kabel notwendig. Eine Funkübertragung war möglich, konnte aber theoretisch abgefangen werden. Die von Bruch publizierte Darstellung (siehe unten) zeigt zwei Ausbaustufen der Kabelverlegung, die so nie zeitgleich verlegt waren. Erst wurden die Kabel provisorisch den Baumkronen entlang, dem Wind und Wetter ausgesetzt, verlegt und das Signal musste durch einen Entzerrverstärker geleitet werden um eine zufriedenstellende Qualität zu erhalten. Das Erdkabel wurde erst später verlegt und machte den Entzerrverstärker im kleinen Messhäuschen unnötig. Dies war laut Bruch die einzige konkrete Veränderung am Aufbau. Das bessere Kabel lieferte, nach Bruch, „ein Fernsehbild heutiger Qualität (...). Ich träume jetzt noch davon.” (Bruch 1974, S.144). Während Bruch rückblickend begeistert von seiner Fernsehanlage sprach, schienen die anwesenden Militärs, für die die Anlage gebaut worden war, und welche auch Hitler beeindrucken sollte, gleichgültig. Hitler selbst sah ide Anlage nie. (Bruch 1974, S. 145)
So rückte die Fernsehanlage in Anbetracht des spektakulären Erfolgs geglückter Raketenstarts schnell in den Hintergrund. Hier liegt aber ihr eigentliches Erfolgsmoment. Auch wenn Bruch die übertragenen Fernsehbilder voller Begeisterung beschreibt, ist der eigentliche Zweck dieser Form des Fernsehens, dass es einen momentanen Blick gewährt, und so gut übermittelt, dass es nicht mehr bemerkt wird. Ohne ästhetischen oder gestalterischen Anspruch produzierte es rein zweckmässige Bilder.
Die Versuche auf amerikanischer Seite
Auch in den USA gab es Versuche, Fernsehanlagen für den militärischen und industriellen Gebrauch zu verwenden, die einige Parallelen zur deutschen Seite aufweisen. Ob zur Überwachung und Aufklärung oder als Kommunikations- und Unterhaltungsmedium für die Streitkräfte – Fernsehen wurde von der Army und Navy als flexibles und multifunktionales Kontrollinstrument eingesetzt (vgl. Zworykin et al 1958, S. 258ff). So wurden 1942 bei dem geheimen Projekt des Baus der Atombombe ebenfalls Fernsehanlagen zur Hilfe gezogen. Die Gefährlichkeit der zu handhabenden Materialien machte eine Steuerung aus der Ferne attraktiv und so wurde darüber nachgedacht, neben komplexen Spiegel- und Periskopsystemen, CCTV einzusetzen. An einem Kran, der radioaktives Material bewegte, wurden diese Systeme angebracht, die auch recht gut funktioniert haben sollen. Die Versuche waren jedoch nicht vom versprochenen Erfolg gekrönt und die TV-Anlagen wurden von der RCA, die für die Versuche verantwortlich war, wieder abgebaut. Die Bildqualität reichte nicht an die gewohnten Standards der Periskope heran und es wird spekuliert, dass die Radioaktivität die empfindlichen Bildröhren der Kameras beschädigt hatte (vgl. Abramson 2003, S. 10-11). Nach dem Krieg wurden bei den Atombombentests im Bikini Atoll verschiedene CCTV-Systeme benutzt, um die Messungen und Beobachtungen in der Gefahrenzone zu ermöglichen.
Nebst diesen Überwachungs- und Aufklärungsanwendungen fanden in den USA ebenfalls Versuche statt, welche das Medium benutzten, um neue Waffen zu entwickeln. Diesbezüglich ist ein früher Vorschlag von jenem Vladimir Zworykin, Fernsehingenieur bei der Radio Corporation of America (RCA) besonders aussagekräftig.
Die sehenden Bomben
Schon 1934 machte Zworykin den Vorschlag für einen Flying Torpedo with an Electric Eye, also einer ferngelenkten Bombe, die über eine eingebaute Fernsehanlage in ihr Ziel gesteuert werden konnte (Zworykin 1946). Seine frühe Skizze ist insofern beachtlich, da sie einige Jahre später tatsächlich in die Tat umgesetzt wurde – und heute im Drohnenkrieg aufscheint. “Sehende Bomben” stellen eine weitere militärische Anwendung des Fernsehens dar, mit denen auf beiden Seiten des Krieges experimentiert wurde.
Politologin und Medienwissenschaftlerin Katherine Chandler analysiert die Versuche auf US-Seite in ihrem Text American Kamikaze (2017) eindrücklich, und zeigt auf, dass die Experimente mit Fernsehwaffen trotz einiger Erfolge noch vor Kriegsende eingestellt wurden. Die Gründe sind dabei vielfältig, denn einerseits gab es technische Hürden, die nicht zufriedenstellend gelöst werden konnten, andererseits gab es im Militär, besonders bei der Luftwaffe, einige Widerstände gegen das Fliegen ohne Piloten.
Auch auf deutscher Seite wurde 1939 mit dem Projekt “Tonne/Seedorf” ebenfalls eine fernsehgesteuerte Bombe gebaut (siehe Bild 1). Hier traten vergleichbare Probleme zutage und die Bomben, die teuer und wenig treffsicher waren, konnten trotz ihrer technischen Innovation, die gerade aus heutiger Sicht sehr aktuell erscheint, nicht überzeugen. Walter Bruch wiederum führt diese Misserfolge in seiner Retrospektive darauf zurück, dass die Technologie noch nicht ausgereift genug war, denn vor der Erfindung des Transistors war es nicht möglich, die eigentlich notwendigen komplexen Schaltungen zu verwirklichen (vgl. Bruch 1974, S. 146).
Der Erfolg des Industriefernsehens
Wie unsere beiden historischen Anwendungsbeispiele zeigen, ist der Erfolg von Fernsehtechnologie nicht selbstverständlich. Als Waffe im Kriegseinsatz konnte sie nicht überzeugen, und die Kathodenstrahlröhren-Monitore, welche fürs elektronische Fernsehen verwendet wurden, trugen vor allem zum Erfolg des Radars bei: “Bevor von einem nennenswerten Einsatz des deutschen Fernsehens für militärische Zwecke während des zweiten Weltkriegs die Rede sein konnte, war dieser durch die robustere, planmässiger entwickelte und angewandte Radar-Impulssichttechnik der Alliierten entschieden.” (Goebel 1953, S. 380) Das Radar, und nicht das Fernsehen, war die kriegsentscheidende Technologie: ”Auf beiden Seiten entwickelte sich Radar immer stärker zu der entscheidenden Wahrnehmungstechnologie, von der ein effektiver Waffeneinsatz in Angriff und Verteidigung abhing.” (Müller und Spangenberg 1991, S. 295)
Weitaus grössere Konsequenzen hatten die experimentellen Anwendungen des Fernsehens jedoch dadurch, dass die Anlagen in Peenemünde oder bei den Atombombentests die technischen und ideellen Grundsteine setzten für die industrielle und gesellschaftlich-logistische Praktik des CCTV, welche verschiedene Bereiche wie Produktion, Verkehrswesen und Überwachung revolutionierte und so für ein neues Zeitalter des technischen Bildes mitverantwortlich war.
Bibliographie und Quellen:
Abramson, Albert. The History of Television, 1942 to 2000. McFarland, 2003.
Bruch, Walter. «Peenemünde 1942: die Anfänge des Industrie-Fernsehens». Funkschau Nr 5, S. 142-146, 1974.
Chandler, Katherine. «American Kamikaze: Television-Guided Assault Drones in World War II». In Life in the Age of Drone Warfare, herausgegeben von Lisa Parks und Caren Kaplan, 89‑111. Duke University Press, 2017.
Elsner, Monika; Müller, Thomas; Spangenberger, Peter M., «Der lange Weg eines schnellen Mediums: Zur Frühgeschichte des deutschen Fernsehens». In Die Anfänge des Deutschen Fernsehens: Kritische Annäherungen an die Entwicklung bis 1945, herausgegeben von William Uricchio. S. 153-208. Max Niemeyer Verlag, 1991.
Goebel, Gerhart. «Das Fernsehen in Deutschland bis zum Jahre 1945». Archiv für das Post- und Fernmeldewesen 5, Nr. 5, S. 259–393, 1953.
Müller, Thomas, und Peter M. Spangenberg. «Fern-Sehen - Radar - Krieg». In HardWar, SoftWar. Krieg und Medien 1914 bis 1945, herausgegeben von Martin Stingelin und Wolfgang Scherer, S. 275–302, Wilhelm Fink Verlag, 1991.
Weber, Anne-Katrin. «'L’œil électrique' et 'la torpille volante' : pistes pour une histoire du drone à partir de l’histoire télévisuelle». A contrario n° 29, no 2 (2019): 81‑98.
Zworykin, V. K. «Flying Torpedo with an electric eye». RCA Review. A Technical Journal 7, Nr. 3 (September 1946): 293–302.
Zworykin, V.K.; Ramberg, E.G.; Flory L.E.. Television in Science and Industry. John Wiley & Sons, Inc., 1958.
Operation Crossroads: Die Atombombe und das Fernsehen
Palmen. Strand. Es ertönt ein gewaltiger Knall, gefolgt von einem unglaublich grellen Lichtblitz. Der gesamte Himmel über dem Pazifischen Ozean erhellt sich. Für den Bruchteil einer Sekunde scheint die ganze Welt still zu stehen. Dann schnellt eine pompöse Rauchwolke in die Höhe. Sie nimmt die Form eines Pilzes an und breitet sich heroisch über der Wasseroberfläche aus. Es ist der 30. Juni 1946, wir befinden uns auf der Insel Bikini-Atoll im Pazifischen Ozean. Gerade wurde die Atombombe «Able» gezündet.
Text und Recherche von Enis Shatrolli, Nathalie Schwab und Mia Stauffacher
Die Operation Crossroads, auch als «Bikini Tests» bekannt, bezeichnet zwei von den USA durchgeführte Atombombendetonationstests im Pazifischen Ozean nahe der Insel Bikini-Atoll. Wie im aufgeführten Zitat erwähnt, wurden die Bikini Tests genaustens beobachtet, wobei verschiedenste Medien, darunter auch das Fernsehen, eine grosse Rolle spielten. Im heutigen Sprachgebrauch wird der Begriff Fernsehen meistens mit dem Programmfernsehen konnotiert. Bei den Bikini Tests ist jedoch nicht nur die massenmediale Verwendung von Fernsehen relevant, sondern auch die Nutzung und Weiterentwicklung von CCTV, dem closed-circuit television.
“[…] an atomic bomb defies scrutiny. It shuns publicity […]. It dazzles human eyes. […] Itself the result of man's intellect, the bomb defies examination by its creator. And yet the Bikini tests were thoroughly observed.” (Joint Task Force, S. 7)
Während des zweiten Weltkriegs wurde das CCTV im militärischen Bereich entwickelt und aktiv gebraucht, beispielsweise für ferngelenkte Drohnen oder unbemannte Überwachsungsanlagen. Die Miniaturisierung des Equipments spielte hierbei eine zentrale Rolle: Damit das Fernsehen vom Militärpersonal genutzt werden konnte, mussten die Geräte handlich und selbsterklärend sein. Mit dem militärisch-wissenschaftlichen Interesse an atomaren Kräften wurde CCTV attraktiver den je. Schon 1942 war man sich bewusst, dass Tests mit Atombomben nicht durchgeführt werden konnten, ohne Menschenleben zu gefährden. Es wurde demnach eine Art der Beobachtung gesucht, die den Menschen zwar an den Abläufen einer Atombombendetonation teilnehmen lässt, ihn aber nicht tödlichen Risiken aussetzt. Das CCTV ermöglichte genau diese ungefährliche Beobachtung aus nächster Nähe, so wie es Zworykin et al. im nebenstehenden Zitat siebzehn Jahre später beschreiben.
“Whenever it is too dangerous; too difficult; too expensive; too inconvenient; too inaccessible; too tiring; too hot; too cold; too high; too low; too dark; too small to observe directly, use television.” (Zworykin et al. 1958, S. 22)
Am 16. Juli 1945 startete die USA einen ersten geheimen Atombombentest namens «Trinity», der in der Wüste von New Mexico durchgeführt wurde. Kurz darauf wurden die Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen. Zwar wurde der Trinity Test genauestens beobachtet, um die Atombomben für den Abwurf in Japan optimieren zu können, doch die Observierung der Bikini Tests war noch um einiges intensiver. (Courtney 2018, S. 211)
Die Tests trugen die Namen Able [30. Juni, 1946, 22:00 Uhr] und Baker [24. Juli, 1946, 21:35 Uhr]. Test A detonierte über der Wasseroberfläche, Test B darunter. Es wurden 73 besatzungslose Schiffe in einem Radius von bis zu 1.6 km um den Detonationsort stationiert, welche insgesamt über 4000 Stück an technischem Equipment mit sich trugen (Van Dyck 1946, S. 9). Obschon die Apparaturen für den militärischen Anwendungsbereich verkleinert wurden, hat man viele der Apparaturen auch speziell für die Bikini Tests designt. So wurden sie beispielsweise mit schützendem Material umhüllt, damit weder Radioaktivität, noch zu hohe Druckwellen oder Temperaturen die Technik zerstören konnten. Daten wie Druckwelle, Hitze, Radioaktivität, Staubpartikel in der Luft, etc., wurden so gewonnen und später ausgewertet. Natürlich konnten Fernsehkameras diese Daten nicht alleine gewinnen, dazu bedurfte es an verschiedensten Messgeräten. Es wurden insgesamt zehn Fernsehkameras an verschiedenen Standorten untergebracht: Sieben wurden auf Schiffen stationiert, zwei in Flugzeugen und eine auf der Insel Bikini selbst. Die beiden mit Fernsehkameras ausgestatteten Flugzeuge wurden durch ein mehrere Kilometer entferntes Mutterflugzeug (Flugzeug mit Besatzung) ferngesteuert. Mit dieser Drohnentechnologie lenkte man die Flugzeuge in die Explosionswolke hinein, um der Wolke Proben zu entnehmen (Van Dyck 1946, S. 11).
Nicht nur für Wissenschaftler war die Operation Crossroads interessant: Die Atombombentests auf Bikini-Atoll waren auch ein grossangelegter Medienevent. Während der erste atomare Test «Trinity» bis zum Angriff auf Hiroshima geheim gehalten wurde, war die Operation Crossroads von Beginn an ein öffentliches Schauspiel. Dabei waren nicht nur die getesteten Atombomben verantwortlich für die Sensation, sondern auch die Konzentration und Verdichtung der dort angewandten Medien: Zeitung, Radio, Fernsehen, Drohnen und weitere technische Apparate machten die Testversuche zu einem - bis dato noch nie dagewesenen - Ereignis. (Van Dyck 1946, S. 9) Die mediale Aufmerksamkeit der Operation Crossroads liess die New York Times im Juni 1946 sogar behaupten, dass es der meistfotografierte Event in der Geschichte werde (Courtney 2018, S. 211). Das Radio, welches 1946 die Rundfunkwellen dominierte, berichtete über die aufwendigen Vorbereitungen auf Bikini-Atoll und lieferte den Klang der Atombombenexplosion direkt in die Wohnzimmer der Zuhörer*innen (Courtney 2018, S. 212). Auch das Fernsehen war an der Sensation interessiert. So schickten sechs Fernsehsender einen Kameramann, um Filmmaterial für ihren Sender zu ergattern.
Nebst wissenschaftlichen Erkenntnissen diente das aufgenommene Filmmaterial der Testversuche also auch der Zurschaustellung der nuklearen Macht Amerikas. Die überwältigende atomare Gewalt und deren geopolitischer Wirkungskraft wurden durch das verbreitete Filmmaterial bestärkt und begeisterte die Massen. Kurz nach den Bikini Versuchen baute die US-Regierung die Infrastruktur für Produktion und Speicherung von Filmen und Fotos von Atomwaffentests aus. Ein Beispiel dafür war das streng geheime Militärfilmstudio, genannt „Lookout Mountain Air Force Station“, im Laurel Canyon von Los Angeles. Das Filmstudio war von 1947 bis 1969 in Betrieb und beschäftigte über 250 Produzenten, Regisseure und Kameraleute. Dort wurde nicht nur audiovisuelles Rohmaterial von Kernwaffentests produziert, sondern es wurden auch komplette Filme hergestellt, die mit Text und Filmmusik unterlegt wurden. Die Filme dienten zum einen als geheime Produktionen fürs Militär und die Regierung, zum anderen richteten sie sich an die Öffentlichkeit. Sie spielten eine zentrale Rolle bei der Entstehung einer atomaren Populärkultur im Kalten Krieg. Diese audiovisuellen Zeugnisse des atomaren Zeitalters erreichten verschiedenste Publika, so wurden sie im Naturkundeunterricht der Grundschule gezeigt, genauso wie in den höchsten Gremien des Pentagons. Die eingangs beschriebene Atompilzwolke wurde durch die Dokumentation der Bikini Tests zur Ikone des atomaren Fortschritts und erlangte weltweite Bekanntheit (Courtney 2018).
Für die Bikini Tests spielte das Fernsehen also eine doppelte Rolle: Einerseits war es Messinstrument zur Generierung wissenschaftlicher Daten, andererseits auch ein Massenmedium, welches ein bestimmtes Bild der atomaren Macht Amerikas durch den massenmedialen Diskurs verbreitete.
Bibliographie und Quellen:
Abramson, Albert (2003): The History of Television, 1942 to 2000. North Carolina: McFarland & Company.
Courtney, Susan (2018): «Framing the Bomb in the West. The View from Lookout Mountain». In: Cinema’s Military Industrial Complex. Hrsg. von Haidee Wasson und Lee Grieveson. California: University of California Press, S. 210-226.
Joint Task Force (1946): Operation Crossroads. The official pictorial record. New York: Wm. H. Wise & Co., Inc.
Lewis, Renee (2015): Bikinians evacuated ‘for good of mankind’ endure lengthy nuclear fallout. https://www.aljazeera.com. URL: http://america.aljazeera.com/articles/2015/7/28/bikini-nuclear-test-survivors-demand-compensation.html#commentsDiv. Zuletzt aufgerufen am: 04.01.2021
Terzibaschitsch, Stefan (1992): «Operation Crossroad. Die Atomwaffenversuche der U.S. Navy beim Bikini-Atoll 1946». In: Marine-Arsenal 20. Friedberg: Podzun-Pallas-Verlag, S. 1-50.
Van Dyck, Arthur F. (1946): «Electronics at Bikini. An Eye-Witness Account of the Extensive Use of Radio and Television Equipment During the Atom Bomb Tests». In: Radio Age 6.1. New York: Radio Corporation of America S. 9-11.
Zworykin, Vladimir Kosma und Ramberg, E.G und Flory, L.E (1958): Television in Science and Industry. Madison: Wiley.