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Teleran
Nach dem 2. Weltkrieg entstand durch die Verbindung zweier im Krieg optimierten Systeme - nämlich dem Fernsehen und dem Radar - ein Navigationssystem zur Flugsicherung mit dem Namen TELERAN (kurz für: Television-Radar-Navigation). Entwickelt wurde das System von der Radio Corporation of America (RCA).
Recherche und Text: Seraina Graf, Michelle Meier, Remo Weber
Militärisches Fern-Sehen
Dank Radar gelang in den 1930er Jahren dem britischen Militär die elektromagnetische Erschliessung des Luftraums. Die Kontrolle des Luftraums wurde mit Hitlers Machtergreifung für Grossbritannien eine der wichtigsten militärischen Aufgaben, wenn die Insel sich vor möglichen deutschen Luftangriffen schützen wollte (Nebeker 2009; Hagen 2017). Als Erkennungs- und Ortungstechnologie erlaubt Radar mithilfe von elektromagnetischen Wellen, Objekte «aufzuspüren», auch wenn diese für das menschliche Auge nicht sichtbar sind. Die elektromagnetischen Impulse werden dazu von den Objekten – z.B. Flugzeugen – reflektiert und vom Radargerät empfangen und verortet.
Während des Zweiten Weltkriegs wurden so genannte operation rooms, d.h. Gefechtsstände als Zentren zur Koordination und Führung militärischer Verbände eingerichtet. Diese Kontrollzentren zielten darauf, möglichst permanent und in Echtzeit Daten zu sammeln und zu prozessieren, um somit den Luftraum beobachtungsfähig zu machen und die Luftlage vom Grossen ins Kleine zu transformieren (Borbach & Thielmann, S.122). Von grundlegender Bedeutung war dabei das bildgebende Medium Radar. Radargeräte waren in den 1940er Jahren noch nicht automatisiert, sie arbeiteten nur bedingt exakt und es standen noch keine Digitalrechner oder computergestützte Schnittstellen (Interfaces) zur Verfügung (ebd). Die Verarbeitung der Daten und die Übersetzung der Information in interpretierbare Bilder beruhte deswegen hauptsächlich auf menschlicher Arbeit, wie auch diese Sendung von 1956 aus dem US-Fernsehen eindrücklich darstellt:
Während Radar die zentrale Technologie für militärisches Fern-Sehen während des 2. WK darstellte, wurde auch die eigentliche Television weiterentwickelt (Müller und Spangenberg 1991). Fernsehversuche hatten seit Ende der 1920er Jahre regelmässig stattgefunden und bei Kriegsbeginn hatten die USA, England, Deutschland und Frankreich reguläre Fernsehsender eröffnet, welche ein kleines Publikum meist in der Nähe der Metropolen bedienten. Während des Kriegs wurde mit militärischen Möglichkeiten des Fernsehens experimentiert, welches in diesem Rahmen nicht mehr als broadcasting, bzw. Massenmedium definiert wurde, sondern als audiovisuelles Instrument zur Datenübertragung in einem closed-circuit. Das closed-circuit TV (CCTV) wurde zur Überwachung und zur Waffenentwicklung eingesetzt; es stand auch Pate bei ersten Versuchen bei ferngesteuerten Drohnen (siehe dazu den Beitrag zum Fernsehen im Militär)
Teleran: Kriegsgeräte für zivile Luftfahrt
Diese beiden militärischen Technologien – Radar und CCTV – wurden mit Teleran nach dem Krieg für den zivilen Bereich ausgerichtet. Ab 1946 wurde Teleran in verschiedenen spezialisierten Zeitschriften und in der Presse – auch hier in der Schweiz – diskutiert (Steiger-Dieterle 1949). Der Hintergrund der Diskussion bildeten dabei nicht mehr militärische Ziele, sondern die prognostizierte Zunahme der zivilen Luftfahrt. Die höhere Dichte an Flugzeugen im Luftraum, aber auch das Fliegen und Landen bei schlechten Sichtverhältnissen stellten besondere Herausforderungen für die Piloten und das Bodenpersonal dar (Steiger-Dieterle 1949, S. 5). Die damaligen Radar-Systeme waren technisch limitiert und insbesondere zu schwer, um in der Luft eingesetzt zu werden (RCA 1946a, S. 2). Die Übermittlung von Informationen war für die Flugsicherheit so unzureichend. Das sogenannte TELERAN (Television-Radar-Air-Navigation) wurde insbesondere nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Zusammenarbeit mit der Luftfahrtbehörde und Fluggesellschaften entwickelt – in Kooperation mit den US Army Air Forces wurde eine militärische Version der zivilen Infrastruktur erdacht (RCA 1946a, S. 1).
Teleran: Fernsehen in der Luft
Aufbauend auf die Radar- und Fernsehtechnik vereinte das TELERAN-System zwei auf der Kathodenstrahlröhren basierende Technologien (RCA 1946a, S. 3). Das Grundprinzip des Systems bestand darin, dass alle Informationen bezüglich Navigation, Verkehrssteuerung, Landung, Kollisionsvermeidung oder Wetter am Boden generiert und bildlich dargestellt wurden. Die anschliessend durch die Fernsehtechnik übermittelten Bilddarstellungen wurden einerseits zur Flugsicherung am Boden verwendet. Andererseits wurden diese simultan und kontinuierlich an alle Flugzeuge in Reichweite übertragen (Jones et al. 1950, S. 391-392).
Das System bestand aus mehreren unterschiedlichen Radaranlagen rund um das Gebiet eines Flughafens. Verschiedene Radartypen nahmen dabei unterschiedliche Funktionen in der Flugverkehrssicherung ein. Eine Kombination der Geräte mehrerer Flughäfen sollte eine ausreichende Abdeckung des Luftraums gewährleisten (Vgl. RCA 1946a, S. 7-10). Zusätzlich war das TELERAN-System am Boden mit einer (oder mehreren) Fernseh-Kamera(s) ausgestattet. Die Kamera zeichnete die eingehenden Radar-Bilder auf. Ein Televisions-Transmitter sendete die Bilder in den Luftraum. Jedes Flugzeug verfügte über einen Fernseh-Empfänger und einen Bildschirm, genauso wie über einen Radar-Transponder, welcher die Höhe des Flugzeugs übermittelte (Zeluff 1946, S. 204-205).
Der Pilot sah sein Flugzeug als ein Punkt auf seinem Fernsehgerät. Eine Oberfläche mit Linien und ein eingebauter Kompass gaben Aufschluss über die Flugrichtung (Ebd., S. 205). Eine zentrale Funktion des TELERAN-Systems war, dass nebst den Radaraufnahmen auch zusätzliche Informationen eingespeist werden konnten, indem Grafiken zwischen das Radarbild und die Kamera geschaltet werden. Die Piloten erhielten so, eingebettet in die Radarbilder, signifikante Informationen in Form von Karten, Angaben über Flughöhe, Funk-Frequenzen oder über das Wetter auf ihre Bildschirme übermittelt (Vgl. RCA 1946b, VIII3-VIII6).
Durch die Einführung des TELERAN-Systems wurden alle Meldungen über potentielle Hindernisse für die Piloten sichtbar, weshalb die Abhängigkeit von verbalen Informationen überwunden werden konnte. Das Erkennen der eigenen Flugposition sowie ein Überblick über die Gesamtsituation sollte zudem die Orientierung im Luftraum vereinfachen (Zeluff 1946, S. 205). TELERAN übermittelte dem Piloten jene Informationen, die für ihn von besonderer Wichtigkeit waren. Folglich beschränkten sich die Meldungen nicht nur auf Objekte in unmittelbarer Nähe, sondern auch potentielle Hindernisse in horizontaler Entfernung auf der jeweiligen Flugbahn erhielten höhere Priorität (Zworykin et al., 1958, S. 182).
Wunder aus 1001 Nacht
Die Radio Corporation of America (RCA), welche TELERAN entwickelte, verkörperte Mitte des 20. Jahrhunderts den Höchststand der Forschung in der Telekommunikation und bewarb ihre Leistungen dementsprechend. Die Kathodenstrahlröhre, welche für Fernsehen und Radar die zentrale Technologie darstellte, verglichen RCAs Werber mit der Wunderlampe aus 1001 Nacht.
Von Ihrer Kinderzeit her erinnern Sie sich an Aladins Wunderlampe aus dem Märchen in «1001 Nacht». Heute aber verfügen Sie selbst über eine wirkliche Zauberlampe – die Elektronen-Röhre.
Sie ist Ihnen sogar schon vertraut vom Radio her, von der Radio-Grammo-Kombination; auch über Fernsehen haben Sie schon gelesen. Aber das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus ihrem gewaltigen Verwendungsgebiet. Die RCA-Laboratorien haben mit dieser Röhre der Menschheit eine Unzahl von Diensten geleistet. Nur einige seien hier genannt: Elektronisches Fernsehen, frequenz-moduliertes Radio, tragbarer Batterie-Radio, Elektronen-Mikroskop, Hochfrequenzheizung, Radar, Shoran, Teleran und zahllose Erfindungen für Wissenschaft, Handel und Verkehr.
(RCA 1948, S. 3)
Eine magische Kindheit sowie universelle Wohltätigkeit wurden in der Werbeanzeige heraufbeschworen, um die Vorzüge der neuen elektronischen Medien anzupreisen. Teleran, ein schliesslich erfolgloses System, das so schnell wieder aus den Seiten der Presse verschwand, wie es aufgetaucht war, wurde dabei in einem Zug mit Fernsehen, Radio, und Radar genannt. Und während RCA 1948 darauf insistierte, dass die Gemeinsamkeit dieser Technologien in der Verwendung der Kathodenstrahlröhre bestehe, wurde nicht erwähnt, dass sie auch eine andere Charakteristik teilten, nämlich im Krieg (weiter) entwickelt geworden zu sein.
Bibliographie und Quellen
Borbach, Ch. / Thielmann, T. (2019). Über das Denken in Ko-Operationsketten. Arbeiten am Luftlagebild. In: Sebastian Gießmann, Tobias Röhl, Ronja Trischler (Hg.), Materialität der Kooperation, Wiesbaden: Springer VS 2019, S. 115-167.
Ford, R. (1980). ATC and the Airborne Traffic-Situation Display. Journal of Navigation, 33(1), 64-79. doi:10.1017/S0373463300028265.
Hagen, W. (2017). Sunday Soviets und Blackett’s Circus. Zur Entstehung des Operations Research aus dem Geiste des Radars. In: Lars Nowak, Medien – Krieg – Raum, München: Wilhelm Fink Verlag, S. 235-260.
L. F. Jones / H. J. Schrader / J. N. Marshall (1950). Pictorial Display in Aircraft Navigation and Landing. In: Proceedings of the IRE, vol. 38, no. 4, April 1950, S. 391-400
Müller, T. / Spangenberg, P. M. (2019). Fern-Sehen - Radar - Krieg. In: Martin Stingelin, Wolfgang Scherer, HardWar, SoftWar. Krieg und Medien 1914 bis 1945, München: Wilhelm Fink Verlag, S. 275–302.
Nebeker, F. (2009). Dawn of the Electronic Age. Electrical Technologies in the Shaping of the Modern World, 1914 to 1945. New Jersey: John Wiley & Sons.
Radio Corporation of America, und RCA Victor Division (1946a). Teleran. For Air Navigation and Traffic Control. In: David Sarnoff Library, Hagley Library & Archives, Box 165, Report Z-178. Camden, New Jersey: RCA Victor Division, Radio Corporation of America.
Radio Corporation of America, und RCA Victor Division (1946b). RCA’s Contribution to the War Effort through Television, 1937-1946. Camden, New Jersey: RCA Victor Division, Radio Corporation of America, Kapitel 8.
Radio Corporation of America (1948). Aladins Wunderlampe in den Schatten gestellt!. Neue Zürcher Zeitung, 18.09.1948, Nr. 1947, S. 3.
Sarnoff, D. (1946). Reconversion. In: Jack Alicoate (Hg.), The Radio Annual, 1946. New York: Radio Daily, S. 59.
Steiger-Dieterle, J. (1949). Die neue GCA-Anlage. Radar im Dienste der Flugsicherung. Neue Zürcher Zeitung, 19.01.1949, Nr. 125(3), S. 5.
Zeluff, V. (1946). Aircraft Radar, Scientific American, Vol. 174(5), Mai 1946. S. 204-206.
Zworykin, V. K. / Ramberg, E. G. / Flory, L. E. (1958). Television in Science and Industry. New York: John Wiley & Sons.
Freie Fahrt dank CCTV
Als das Industriefernsehen im Strassenverkehr Einzug hielt und dabei das öffentliche Überwachungswesen revolutionierte
Recherche und Text: Jeffrey Gnehm, Jonas Hochberg, Gökçe Kaya
Dass wir heutzutage in öffentlichen Räumen ständig überwacht werden, ist für uns längst zur Normalität geworden. Ob im Einkaufszentrum, im Fussballstadion oder im öffentlichen Verkehr – überall verfolgen uns Überwachungskameras. Wir leben im Wissen, dass unser Handeln mitbeobachtet werden kann. Während die Videoüberwachung vor allem seit den 1990er Jahren in unseren Städten Einzug gehalten hat (dazu mehr bei Norris et al. 2002), ist die Geschichte der Videoüberwachung eng mit dem Aufkommen des Industriefernsehens in den 1950er verbunden.
Wenn von Industriefernsehen gesprochen wird, kann auch der englische Begriff „Closed Circuit Television“, kurz „CCTV“, verwendet werden (Kammerer 2009, S.43), der direkt auf die infrastrukturelle Anordnung dieses Fernsehsystems hinweist. Parallel zum Programmfernsehen, das als broadcasting Medium angelegt ist, wurde nach dem 2. Weltkrieg das Fernsehen vermehrt auch in Form eines geschlossenen Bildübertragungssystems in den Dienst der Wirtschaft, der Industrie, oder des Bildungswesens gestellt (Burger 1958; Zworykin et al. 1958).
Laut dem Fernsehpionier und leitenden Ingenieur bei der Radio Corporation of America, Vladimir Zworykin, war Fernsehen eine buchstäbliche Erweiterung des menschlichen Auges: die televisuelle Technik unterstützte den Menschen „whenever it is too dangerous; too difficult; too expensive; too inconvenient; too inaccessible; too tiring; too far; too hot; too cold; too high; too low; too dark; too small to observe directly […]” (Zworykin et al. 1959, S. 22.). Das CCTV ermöglichte laut Zworykin also Einblicke, die mit blossem Auge unmöglich wären. CCTV eschloss ein neues Feld der televisuellen Überwachung und Kontrolle – das sich heute in der Videoüberwachung der urbanen Räume weiter ausdehnt.
Unser Beitrag fokussiert auf ein Beispiel aus der Westschweiz – nämlich den Einsatz von CCTV in der Stadt Lausanne – und zeigt, wie das Aufkommen des Industriefernsehens in den 1960er Jahren den städtischen Strassenverkehr prägte und wie sich damit die polizeiliche Arbeit veränderte.
Industriefernsehen in Lausanne
Lausanne war im Jahr 1964 der Austragungsort der fünften Landesausstellung (Expo 64), welche zwischen April und Oktober von über 12 Millionen Besucher*innen besucht wurde. Zudem konnte im selben Jahr der erste Autobahnabschnitt zwischen Lausanne und Genf eröffnet werden (Kreis 2020). Ab den 1950er Jahren nahm der Strassenverkehr in Städten erheblich zu. Zur besseren Organisation des Verkehrs wurden zunächst vermehrt automatische Lichtsignale eingesetzt, die zwar mehr Ordnung in den Verkehr brachten, in ihrer Funktion aber sehr beschränkt waren. Der einfache Automatismus des „stopp, warten, fahren“ nahm dabei keine Rücksicht auf das tatsächliche Verkehrsaufkommen, was den Verkehrsfluss massiv behinderte und häufig zu Stau führte (Kammerer 2009, S. 43).
„Verstopfte Strassen, gefährdete Fussgänger, verärgerte Automobilisten und kein Ende“ (Schweizerische Filmwochenschau, 05.08.1966): So charakterisierte die Schweizerische Filmwochenschau Mitte der 1960er Jahre die Verkehrssituation in Schweizer Städten. Das Lausanner Stadtparlament hatte in Anbetracht der herrschenden Verkehrsverhältnisse im Stadtzentrum, sowie des erwarteten Besucher*innen- und daher Verkehrsansturms aufgrund der Landesausstellung schon anfangs der 1960er Jahre entschlossen, die städtische Verkehrsregelung mithilfe von CCTV neu zu regeln. Dank einem automatisierten Ampelsystem und Fernsehüberwachung sollten alle Probleme, mit denen die Städte zu kämpfen hatten, gelöst werden.
Das Erfolgsrezept des neuen Systems in Lausanne war das Prinzip der „onde verte“, der „grünen Welle“, welche einen sauberen Verkehrsfluss ermöglichen sollte. Die „grüne Welle“ im Stadtzentrum war kurz nach Eröffnung der Expo 64 wie geplant einsatzbereit. In einem vom Westschweizer Fernsehen produzierten Schulfilmbeitrag aus dem Jahr 1969 wurde die Anlage mit einer Eisenbahnverbindung zwischen Lausanne und Zürich verglichen: So wie die Züge ohne Zwischenhalte zwischen Start und Ziel verkehren konnten, so sollen auch die Automobilist*innen ungehindert durch das Stadtzentrum fahren können. Die an diversen zentralen Kreuzungen installierten Kameras ermöglichten die Übersicht und die Steuerung der Lichtsignale aus der Distanz und sorgten so für einen flüssigen Verkehr in der Stadt (L‘onde verte 1969).
Die technische Installation in Lausanne
In der Illustration oben links wird das CCTV-System der Stadt Lausanne schematisch dargestellt. Ihre Legende listet die neun Standorte auf, an denen Industriekameras installiert wurden. Alle Kameras waren mit der Empfangs- und Kommandozentrale verbunden, von wo ein Polizist den Verkehr über mehrere Bildschirme beobachten und bei Bedarf die Lichtsignale steuern konnte. Pro Kreuzung wurde eine Kamera in 10 Meter Höhe angebracht. Um einen möglichst grossen Blickwinkel zu erfassen, wurden die Verkehrskameras, falls möglich, zentral über der Kreuzung montiert. Die CCTV-Anlagen in der Stadt Lausanne verfügten zudem über einen fernsteuerbaren Schwenk- und Neigekopf (Bulletin des Schweizerischen Elektrotechnischen Vereins 1969, S. 740).
Die Photographie rechts zeigt die Komplexität der Einrichtung der Kommandozentrale in Lausanne. Das von den neun Kameras über lange Kabel bis in die Zentrale übertragene Bild wurde auf jeweils einen separaten Bildschirm projiziert. Jeder Bildschirm zeigt eine andere Verkehrssituation, die verschiedenen Perspektiven deuten auf die unterschiedlichen Distanzen zwischen den einzelnen Kameras und den gefilmten Objekten hin. Die Zeitung Nouvelle Revue de Lausanne berichtete 1964, dass die Kameras im Verkehr zudem über ein ferngesteuertes Zoomobjektiv verfügten, womit sogar Nummernkennzeichen der Autos erkennt werden konnten (Nouvelle Revue de Lausanne 1964).
Die einen Kameras verschafften einen Überblick über die gesamte Kreuzung, andere fokussierten auf einen bestimmten Strassenübergang. Die freien Plätze am rechten Rand der Bildschirmwand deuten darauf hin, dass das System mit weiteren Bildschirmen und somit mit weiteren Kameras erweitert hätte werden können. Am Steuerungspult sass der Polizist, der die Gesamtverkehrssituation überwachte und steuern konnte. Ein Strassenplan der Stadt (oberhalb der Bildschirme), der die Standorte der einzelnen Kameras signalisierte, unterstütze die Effizienz der Überwachung weiter. Im Vergleich der Fotografie mit dem Schema der Verkehrsanlage wird deutlich, dass die Verkehrsanlage als automatisiertes System angelegt wurde, dass aber die menschliche Arbeit weiterhin einen entscheidenden Faktor im Gesamtprozess darstellte.
Lausanne als Vorbild, aber nicht revolutionär
Das erfolgreiche CCTV-System in Lausanne war ein Medienereignis. Wie diverse andere Medien berichtete auch die Schweizer Filmwochenschau über diesen Fortschritt in der Westschweiz: „Lausanne ist mit dieser modernen Anlage allen Schweizer Städten ein paar Längen voraus.“ (Filmwochenschau 1966) Das CCTV-System in Lausanne galt als Vorzeigebeispiel einer gelungenen Verkehrsorganisation: es war jedoch nicht das erste Experiment.
In der Schweiz wurden erste Versuche mit industriellen Fernsehanlagen im Dienst der Verkehrsüberwachung 1959 in der Stadt Zürich gemacht. Es wurden zwei erhöhte Kameras installiert, die ihre Bilder fortlaufend auf einen Monitor in der Schaltzentrale übertrugen. Mittels einem Handsteuerpult konnte der Polizist in der Kommandozentrale die automatischen Lichtsignale steuern. Dieser eine Bildschirm zeigte den Verkehr zwar in Echtzeit, aber jeweils nur das Bild von einer der beiden Kameras. Um das Bild der anderen Kamera zu sehen, musste der Bildschirm zuerst umgeschaltet werden. Die Installation verbesserte zwar den Verkehrsfluss, war aber mit nur zwei Kameras und einem Bildschirm im Einsatz begrenzt (Die Tat 1962).
Was die Kamera sonst noch sieht
Für Deutschland hat Medienwissenschaftler Dietmar Kammerer gezeigt, dass im Verlaufe der 1950er Jahre in verschiedenen deutschen Städten an zahlreichen Verkehrsknotenpunkten Kameras installiert wurden, die die Verkehrssituation filmten und eine zentrale Überwachung des Verkehrs durch die Polizei ermöglichten (Kammerer 2009, S. 43). In deutschen Städten wurden Verkehrskameras zunächst zusätzlich zur Überwachung von Verkehrsregelverstössen eingesetzt, wobei schon während der 1960er Jahren die Fernsehanlagen auch für die Überwachung von Versammlungen und Kundgebungen benutzt wurden. Dem CCTV wurde so neben der Verkehrsüberwachung eine weitere Funktion zugeiteilt, nämlich die der Personenüberwachung (Kammerer 2009, S. 44).
Genau diese Problematik einer Vermischung der Überwachungszwecke wie sie Kammerer für Deutschland festgestellt hat, wurde auch in Lausanne erkannt. Mit den Verkehrsüberwachungskameras in Lausanne konnten ebenfalls nicht nur Autos, sondern auch Personen erkannt werden. Anlässlich der Inbetriebnahme versicherte ein Lausanner Polizeikommandant zwar gegenüber der Zeitung Feuille d’Avis de Lausanne: „La destination première de ses caméras est la régulation de la circulation et non l’observation en fauteuil des citoyens lausannois.“ (Feuille d’Avis de Lausanne 1964). Dass diese "Beobachtung der Lausanner Bevölkerung vom Sessel aus" dennoch gelegen kam, zeigen Aufnahmen der CCTV-Kameras aus den 1980ern, welche im Archivbestand der Lausanner Polizei vorhanden sind und dokumentieren, dass die Strassenüberwachung auch zur Überwachung der damaligen Jugendproteste verwendet wurde (Archives de la Ville de Lausanne, 1981):
Industriefernsehen an der Landesausstellung
Die Frage nach den vielfältigen Einsatzbereichen von CCTV wurde jedoch schon an der Landesausstellung 1964 dringend. Wie das Bulletin des Schweizerischen Elektrotechnischen Vereins 1969 in seiner Besprechung der Lausanner Fernsehanlagen festhielt, nutzten die Organisatoren der Expo 64 das CCTV-System nicht nur in der Verkehrsregelung, sondern auch für die Fernüberwachung wichtiger Zonen, wie Besuchereingänge oder Parkplätze, aber auch des Ausstellungsgeländes an sich (Bulletin des Schweizerischen Elektrotechnischen Vereins 1969, S. 740).
Auch hier wurden mehrere Kameras über das gesamte Gelände installiert. Die Kameras 2 und 3 wurden auf einem zentralen Turm in 75 Meter Höhe befestigt. Zusammen mit dem Teleobjektiv dieser Kameras sollte so eine besonders grosse Rundsicht ermöglicht werden. Alle Bilder gelangten wiederum in die Kommandozentrale, wo sie von einer Sicherheitsperson überwacht wurden. Wie die Kameras des CCTV-Systems in der Stadt Lausanne konnten auch die Kameras der Expo 64 aus der Zentrale geschwenkt und gesteuert werden.
Der halbstündige Film der Lausanner Polizei aus dem Jahr 1964, der Hauptattraktionen der Expo vorstellte, dokumentierte den Einsatz der neuen CCTV-Installation in der Stadt und an der Expo selbst. Stolz wird im Kommentar erwähnt, dass die Polizei mit Hilfe der Verkehrsüberwachung täglich für rund 15‘000 Autos eine problemlose Durchfahrt durch die Stadt ermögliche (Archives de la Ville de Lausanne, ab Minute 19'37 "La sécurité à l'Expo"). Der untenstehende screenshot zeigt die Zentrale der Expo 64 und die Bildschirme, die wiederum die Übertragungen der über das Expogelände verteilten Kameras abbildeten. Wie in den Quellen über das innerstädtische CCTV schon zu sehen, wurden die Bildschirme auch an der Expo von einer einzigen Person überwacht. Im Film wird weiter erwähnt, dass die Kameras ein wichtiger Sicherheitsfaktor darstellten. Sollte ein Brand oder ein ähnlicher Notfall eintreffen, so könnte die Polizei in der Zentrale entsprechend reagieren und schnell ausrücken – und wie ein Blick auf die Bildschirme zeigt, konnten durchaus auch einzelne Besucher*innen aus der Ferne beobachtet werden.
Abschliessend kann festgehalten werden, dass CCTV heute im öffentlichen Raum und in der polizeilichen Arbeit wohl kaum mehr wegzudenken ist. Überwacht und so in seinem Handeln beeinflusst zu werden sind keine neuen Phänomene. Dieselben Fragen über das Verhältnis zwischen Überwachung und Privatsphäre stellte man sich schon in den 1950ern als das Industriefernsehen erstmals im Strassenverkehr eingesetzt wurde. Weil die Kameras eben nicht nur den Verkehr filmten, sondern auch Fussgänger*innen, Demonstrant*innen und Automobilist*innen, wurde der Weg für die Überwachung des öffentlichen Raums geebnet.
Bibliographie und Quellen
Archives de la Ville de Lausanne. Expo 64 – Police de Lausanne – 1964. https://www.dartfish.tv/Player?CR=p33203c27287m1153633, aufgerufen : 09.12.2020.
Archives de la Ville de Lausanne. Lôzane bouge - Police e Lausanne - 1981. https://www.dartfish.tv/Player?CR=p33203c27287m2842896, aufgerufen : 09.12.2020.
Bulletin des Schweizerischen Elektrotechnischen Vereins, Bd 55, Nr. 15, 1964, S. 740-742.
Burger, Alexandre: Das Fernsehen im Dienste der Wirtschaft. Orientierungen der Schweizerischen Volksbank Nr. 32, Bern 1958.
Clive, Norris/McCahill, Mike/Wood, David: The Growth of CCTV: A Global Perspective on the International Diffusion of Video Surveillance in Publicly Accessible Space. Surveillance & Society 2, Nr. 2/3 (2002).
Die Tat. Die Bahnhofstrasse fern gesehen, 06.05.1962.
Feuille d’Avis de Lausanne. Inauguration de la caserne de police, 27.04.1964.
Filmbestand Schweizer Filmwochenschau (1940-1975): Polizei überflüssig … (1222-2), Schweizer Filmwochenschau vom 05.08.1966, https://www.memobase.ch/fr#document/SFW_CJS_CGS-SFW_1222-2, aufgerufen am 01.12.2020.
Kammerer, Dietmar. Police Use of Public Video Surveillance in Germany 1956: Management of Traffic, Repression of Flows, Persuasion of Offenders. Surveillance & Society 6, Nr. 1 (2009), S. 43-47.
Kreis, Georg. Landesausstellungen, in: Historisches Lexikon der Schweiz, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013796/2010-09-22/, Stand: 22.09.2020, aufgerufen am 01.12.2020.
Nouvelle Revue de Lausanne: Dans la nouvelle caserne de police, 27.04.1964.
RTS: L’onde verte, 1969, https://www.rts.ch/archives/tv/jeunesse/tv-scolaire/4376296-l-onde-verte.html, aufgerufen am: 09.12.2020.
Zworykin, V. K., E. G. Ramberg/L. E. Flory: Television in Science and Industry, New York 1958.
Rodney King: Das Video, das L.A. in Flammen setzte
3. März 1991 - In dieser Nacht raste Rodney King angetrunken über einen Highway im Norden von Los Angeles, was eine Verfolgungsjagd mit der Polizei nach sich zog. Als King gestoppt wurde und Widerstand gegen die Verhaftung leistete, wendeten vier Polizisten unverhältnismässige Gewalt an. Innerhalb von 12 Minuten wurde 56 Mal mit Schlagstöcken auf den am Boden liegenden King eingeschlagen und sogar Elektroschock angewendet. Der Anwohner George Holliday dokumentierte die Gewaltausschreitung mit seiner Videokamera, übergab das Videomaterial einem lokalen Fernsehsender und die Aufnahme ging um die ganze Welt. Polizeigewalt - überwiegend gegenüber Schwarzen - war auch damals nichts Neues und wurde bereits vor Rodney King auf Video aufgenommen. Dass eine Aufzeichnung davon an die Öffentlichkeit gelangte und sich in kürzester Zeit weltweit verbreitete, war hingegen neu. Die Polizisten wurden daraufhin verurteilt und man dachte aufgrund der klaren Beweislage, dass endlich einmal Gerechtigkeit siegen würde. Das Gegenteil war jedoch der Fall: Mit dem Freispruch aller vier Polizisten knapp ein Jahr später am 29. April 1992 starteten die 6-tägigen L.A. Riots, bei welchen 63 Personen ums Leben kamen, über 2’000 verletzt wurden und Sachschäden in Milliardenhöhe entstanden.
Recherche und Text: Daorsa Badivuku, Laura Brücker, Isabella Margjini, Emeline Samson
George Hollidays Video
Vom Lärm von Sirenen geweckt, beobachtete George Holliday kurz nach Mitternacht am 3. März 1991 die Szene der brutalen Polizeiintervention aus seinem Apartment im zweiten Stock und filmte sie mit seiner Sony Videokamera (Sony Video8 Handycam CCD-F77). Holliday meinte später, er habe die Szene gefilmt, da er mit seinem neuen Camcorder automatisch alles, was vor seine Linse kam aufnahm - wie es jede*r andere wohl auch getan hätte. Womöglich verschaffte ihm dabei der Blick durch die Kamera eine bessere Sicht auf den 40 Meter entfernten Vorfall.
Der Vorfall wäre ohne diese Aufnahme wohl – wie unzählige dieser Art zuvor – nicht an die breite Öffentlichkeit gelangt. Mithilfe Hollidays Video wurde global Aufsehen erregt und der Blick auf die Problematik von Rassismus und Polizeigewalt in den USA gerichtet. Zudem löste die Veröffentlichung des Videomaterials, dessen Distribution in fast jedes Wohnzimmer der Welt, sowie der Gerichtsentscheid zugunsten der vier Polizisten knapp ein Jahr nach dem Ereignis die L.A. Riots aus.
Polizeigewalt gegen die schwarze Bevölkerung: Eine lange Geschichte
Der Tod von Breonna Taylor, einer jungen Afro-Amerikanerin, welche am 13. März 2020 nachts in ihrer eigenen Wohnung von der Polizei erschossen wurde, oder jener von George Floyd, der Ende Mai 2020 durch eine gewaltsame Festnahme durch einen Polizisten erstickte, sind jüngste Beispiele von Polizeigewalt und strukturellem Rassismus in den USA. Diese Todesfälle und viele weitere sind uns bekannt, da die Ereignisse auf den Social Media Aufsehen erregt haben und Videoaufnahmen oder sogar Livestreams davon existieren. Im digitalen Zeitalter können solche Inhalte leichter viral gehen als 1991: Sie sind jedoch heute wie damals oft unmittelbare Auslöser von Massenprotesten. Der Fall von Rodney King kann als ein erstes Beispiel der audiovisuellen Dokumentation von Polizeigewalt, welche zu mächtigen Protesten geführt hat, angesehen werden.
In ihrer Diskussion der brutalen Festnahme von Rodney King und den nachfolgenden Protesten verweist Judith Butler auf diesen strukturellen Rassismus und die (historisch) tief verankerte White Paranoia in der amerikanischen Polizei. Der Ursprung der modernen amerikanischen Polizei kann unter anderem auf die Slave Patrols zurückgeführt werden. Diese wurden Anfang 1700 in den Südstaaten Amerikas zur Kontrolle, Überwachung, Festnahme und Einschüchterung von versklavten Afrikanern gegründet und ihre Vorgehensweisen beinhalteten unverhältnismässige physische und psychologische Gewalt. Slave Patrols wurden 1865 mit der Abschaffung der Sklaverei in Theorie abgeschafft – die Praktiken wurden jedoch von Gruppen wie dem Ku-Klux-Klan oder auch Polizeidepartementen (speziell im Süden) beibehalten.
Wie aus dem historischen Kontext hervorgeht – und wie Butler in ihrem Zitat unterstreicht – ist die Polizei seit jeher für den Schutz von Weissen zuständig. Diese werden als vulnerabel und schutzbedürftig porträtiert, wobei schwarze Körper eine Gefahrenquelle mit Hang zur Gewalt verkörpern. Mit diesem rassistisch-interpretativen Framework wird auch King als Agent of Violence konstruiert. In diesem Schema ist jede Aktion zum Schutz von Weissen gerechtfertigt – auch bevor sich etwas Gefährliches ereignet – und die Gewalt der Polizei wird nicht als solche kategorisiert, sondern als Abwehr verstanden.
“The police are thus structurally placed to protect whiteness against violence, where violence is the imminent action of that black male body.” (Butler 1993, S. 18)
Video entscheidet Gerichtsurteil
Der systemische Rassismus der amerikanischen Gesellschaft wurde im zweiten Akt von Rodney Kings Tragödie nochmals ersichtlich, als das Video seiner Festnahme nicht wie erwartet als Beweis gegen die Polizisten eingesetzt wurde und anstelle zu deren Verurteilung zu ihrer Freisprache führte: Auch die juristische Institution stellte sich auf die Seiten der weissen "Ordnungshüter".
Für die Verwendung bei der Gerichtsverhandlung wurde die Videoaufnahme in isolierte Standbilder heruntergebrochen und in Slow-Motion gezeigt, was in starker De- und Rekontextualisierung des Videos resultierte. Die Verteidiger der Polizei instrumentalisierten das Video so zur strategischen Beeinflussung der Meinungsbildung der (überwiegend weissen) Geschworenen. Man brachte sie dazu, die Situation statt aus der Sicht der Kamera, aus den Augen der Polizisten zu betrachten. Man versuchte, ihnen aufzuzeigen, dass die Polizisten in Gefahr waren und ihre Aktionen gerechtfertigte Selbstverteidigung war, während Rodney Kings Versuch des Selbstschutzes, wie auf dem Bild ersichtlich, als Bedrohung gelesen wurde. Sergeant Koon, einer der vier Polizisten, sagte aus, er habe die Schläge ausgeführt, da King entweder versuchte zu fliehen, oder die Polizisten körperlich angreifen wollte. Judith Butler beschreibt diese Situation folgendermaßen: “That body thus received those blows in return for the ones it was about to deliver [...]” (Butler 1993, S. 19) - die Schläge der Polizei waren präemptiv und antizipierten eine Handlung, die laut deren Interpretation sowieso stattfinden würde. Laut Polizei hätte King die Gewalt stoppen können, in dem er sich auf den Boden gelegt und die Hände über den Kopf gehalten hätte. Da er dies nicht tat, galten die Schläge als gerechtfertigt. Nicht die Polizei, sondern King wurde so als Ursprung, Ziel und Objekt der Gewalt dargestellt, als derjenige, der den Vorfall verursachte und dessen Verlauf hätte kontrollieren sollen.
Die Videoaufnahme als operatives Bild
Die Videoaufnahme von Kings Verprügelung weist Merkmale von jenen Bildern auf, welche Filmemacher Harun Farocki "operative Bilder" nennt (Farocki 2004). Operative Bilder präsentieren und zeigen nicht nur die Dinge in der Welt, sie beginnen vielmehr Dinge in der Welt "zu tun" und zu verändern. Sie besitzen also die Macht zu agieren: Operative Bilder haben sozusagen den "Finger am Abzug". In Rodney Kings Fall arbeitet das Video bezüglich verschiedener Aspekte als operatives Bild. Zum einen lieferte das Video schockierende Aufnahmen, welche den systemischen Rassismus an der schwarzen Bevölkerung dokumentierten. Zum anderen führt es zu den Freisprüchen der beteiligten Polizisten.
Die Bilder von Hollidays Video agierten jedoch nicht alleine: Ihre Wirkkraft resultierte auch aus einem Geflecht ähnlicher Bildern, die alltäglich waren, und dennoch oft unsichtbar blieben. Am 16. März 1991, 13 Tage nach dem Rodney King Vorfall, wurde die afroamerikanische Teenagerin Latasha Harlins von einer koreanischen Ladenbesitzerin, Soon Ja Du, in L.As Koreatown erschossen. Ja Du dachte, Latasha würde einen Orangensaft stehlen, doch auf den Aufnahmen der Sicherheitskamera kann man sehen, dass die 15-jährige das Wechselgeld in der Hand hatte, um diesen zu bezahlen. Die mit dem Fall betraute Richterin Joyce Karlin entschied, Soon Ja Du keine Haftstrafe zu erteilen, sondern sie zu fünf Jahren Bewährung, 400 Stunden gemeinnütziger Arbeit und einer Geldstrafe von 500 Dollar zu verurteilen, und dies obschon die Gerichtsjury Ja Du mit Mord anklagen wollte.
Fazit
Im Kontext von Rassismus und Polizeigewalt entstehen (audio-)visuelle Aufnahmen mit dem Ziel, auf politische und gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen. Dieser Beitrag macht ersichtlich, welche Macht operative Bilder im Rahmen gesellschaftlicher Brennpunkte haben und wie sie selbst Ereignisse von grossem Ausmass, in diesem Fall Massenproteste, auslösen können. Dies gilt auch für heute: Nach dem Tod von George Floyd in Minneapolis im Mai des letzten Jahres, 28 Jahre nach den L.A. Riots, fand sich Los Angeles erneut inmitten von gewaltsamen Demonstrationen (und Flammen) wieder – als Auslöser galt ebenfalls eine Amateur-Videoaufnahme.
Bibliographie und Quellen:
Barragan, Bianca; Chandler, Jenna; Glick Kudler, Adrian: Mapping the 1992 LA Uprising. Following the unrest and violence, from Rodney King to Koreatown, Curbed Los Angeles, 1.5.2020. Online: https://la.curbed.com/maps/1992-los-angeles-riots-rodney-king-map, Stand: 9.12.2020.
Butler, Judith: Endangered/Endangering: Schematic Racism and White Paranoia, in: Gooding-Williams, Robert (Hg.): Reading Rodney King/Reading Urban Uprising, New York 1993, S. 15-22.
Farocki, Harun: Phantom Images, in: Public 29 (Januar 2004), S.13-22.
Hansen, Chelsea: Slave Patrols: An Early Form of American Policing, National Law Enforcement Museum, 10.7.2019.
Hoel Aud Sissel: Operative Images. Inroads to a New Paradigm of Media Theory, in: Friedich, Kathrin; Queisner, Moritz (Hg.): Image - Action - Space, Berlin/München/Boston 2018, S. 11-27.
Lacayo, Richard: Anatomy of an Aquittal, in: TIME 139, Nr. 19 (11.5.1992), S. 30-32. Online: https://time.com/vault/issue/1992-05-11/page/32, Stand: 9.12.2020.
o. A.: “It Was Murder”: Minneapolis Demands Charges in Police Killing of George Floyd, Calls to Defund Cops. Democracy Now!, 29.5.2020, Online: https://www.democracynow.org/2020/5/29/minneapolis, Stand: 17.2.2021.
Paybarah, Azi: He Videotaped the Rodney King Beating. Now, He is Auctioning the Camera, The New York Times, 29.7.2020. Online: https://www.nytimes.com/2020/07/29/us/rodney-king-video-camera-auction.html, Stand: 9.12.2020.
United States, Federal Bureau of Investigation: Rodney King FBI tapes, Internet Archive, 13.5.2013. Online: https://archive.org/details/cabemrc_000012, Stand: 30.11.2020.